Jetzt kennen wir ihn, den wahrscheinlich letzten Song der Beatles: „Now And Then“. Ein Meisterwerk, wie es die Fans der Fab Four verdient haben, meint der US-amerikanische „Rolling Stone“. Eigentlich überflüssig mit diesem weinerlichem Gesang von John Lennon, mosert die FAZ. So ist das mit Erwartungshaltungen, je nach Amplitude lassen sie das emotionale Pendel und auch das fachliche Urteil in die eine oder andere Richtung ausschlagen.

Persönlich freue ich mich riesig, dass der Song überhaupt erschienen und noch dazu so anrührend gelungen ist. John Lennon (im Bild sein Denkmal an der Penny Lane in Liverpool) noch einmal einen „neuen“ Song singen zu hören, das ist an sich schon ein Ereignis. Die Produktion klingt mit den String-Arrangements, Maccas Bass und Lennons typischen Harmoniewechseln gelungen beatlesque. In all seiner Melancholie erscheint der Song stimmig, die Lyrics erzählen von einer Sehnsucht und einem Vermissen, das gerade angesichts des hohen Alters der beiden noch lebenden Beatles glaubwürdig klingt. Das Timing passt. 

Der Stoff, aus dem Legenden sind

Als Marketing-Mensch – ich kann einfach nicht aus meiner Haut – gefällt es mir zudem ausnehmend, dass dieses Finale der Band gleich von einem Mythos umweht wird: das Demotape von John Lennon aus den späten 1970er-Jahren, das Yoko Ono den Beatles vor Jahrzehnten gegeben hat … die vergeblichen Versuche von Paul McCartneyGeorge Harrison und Ringo Starr, den Song für die Anthologie-Reihe und den 1990er-Jahren zu komplettieren … die Rettung durch die KI des Regisseurs Peter Jackson, mit der John Lennons Stimme in erstaunlicher Qualität isoliert werden konnte … die Vollendung des Songs durch die zwei verbliebenen Beatles McCartney und Starr zusammen mit Giles Martin, Sohn des genialen Beatles-Produzenten George Martin. Herrlich, das ist der Stoff, aus dem Legenden sind. Und klar: Das Beatles-Label Apple Corps Ltd. lässt keine Gelegenheit aus, um die Geschichte zu erzählen. Ein zeitreisendes Video von Peter Jackson inklusive. 

Tja, dann ist auch noch bald Weihnachten. Und es ist ein wenig, wie es früher einmal war. Ein neuer Song der Beatles, noch dazu die erweiterten und neu abgemischten Ausgaben des roten (1962 – 1966) und des blauen Albums (1967 – 1970). Mit der bereits in Auslaufrille gewürdigten LP „Hackney Diamonds“ sind auch die Rolling Stones pünktlich für die Christmas Season am Start. Okay, die meisten Menschen streamen die alten und neuen Songs. Aber Freund:innen von Vinyl und CDs werden ihre Wunschzettel schon geschrieben haben. Das alles ist nicht mehr so weltbewegend wie in den Sixties, aber doch erstaunlich genug, um glänzende Augen zu bekommen. Mal ehrlich: Könnte ich meinem 14-jährigen Ich aus dem Jahr 1980 erzählen, dass es sich im Jahr 2023 über neues Material der Stones und der Fab Four freuen würde, es hätte nur schallend gelacht und mir einen Vogel gezeigt. 

The Kinks – die am meisten unterschätzte Band der Welt

Damals wie heute mischt sich allerdings ein Tropfen Wehmut in die Begeisterung. Denn wie eh und je kommt eine Band bei dem ganzen Trubel zu kurz: The Kinks, „die am meisten unterschätzte Band der Welt“, wie die fiktive Werbeikone Harriet Lauler, gespielt von der unvergleichlichen Shirley MacLaine, im Film „Zu guter Letzt“ völlig zu Recht reklamiert. Als ich die Szene im Kino sah, hätte ich jubeln können. Nebenbei bemerkt, für alle Vinylfans: Harriet Lauler hat sich im hohen Alter in den Kopf gesetzt, noch einmal D-Jane bei einem Radiosender zu sein, der noch Schallplatten auf den Äther schickt und der Digitalisierung abgeschworen hat. Großartig, oder? 

Aber zurück zu den Kinks, die in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag feiern. Mit The Journey Part 1 und The Journey Part 2 haben sie zwei Sampler auf den Markt gebracht, die ihre Story intelligent erzählen, nämlich nicht nach Hits oder chronologischer Reihenfolge sortiert, sondern kuratiert nach übergreifenden Themen und Lebensphasen, die den Musikern wichtig sind. Das nenne ich mal ein gelungenes Konzept. Neu abgemischt durch das Mastering-Genie Kevin Gray geben die beiden Doppelalben einen tiefen Einblick in das Werk eine der größten Bands aller Zeiten, auch wenn manche Songs in Mono daherkommen. Ihre Geschichte verdient es ebenso, unter den Weihnachtsbäumen der Rock´n´Roll-Enthusiasten erzählt zu werden.

Also, macht hoch die Tür, die Tore macht weit … für die Fab Four, für die ewig rollenden Steine – und für die fantastische Band um die Brüder Dave und Ray Davis