Kein Hit, nirgends. Nichts, was an Ohrwürmer wie „Samba Pa Ti“ oder „Black Magic Women“ anknüpft. Und doch ist „Caravanserai“ aus dem Jahr 1972 ein schillernder Diamant im Gesamtwerk von Carlos Santana. Auf seinem vierten Album nähert er sich Jazz und Fusion an, zitiert Pharoah SandersMiles Davis und Joe Zawinul, covert ein Stück von Antonio Carlos Jobim und lässt seine Spiritualität – in pure Schönheit gekleidet – durch die Stücke wehen. 

Die frühen 1970er-Jahre sind, rückblickend betrachtet, eine aufregende Zeit. Aus der Kombination von Jazz und Rock, den Funken zündete Miles Davis, entsteht Fusion oder „Jazzrock“. Santana, obwohl weiter unüberhörbar in den Latin-Grooves seiner extrem erfolgreichen ersten drei Alben zuhause, erweitert auf dieser Welle unerschrocken sein Repertoire an Rhythmen, Kompositionen, Improvisationen und Ausdrucksformen. Nicht mal der mächtige und legendäre Clive Davis, damals Präsident von Columbia Records, vermochte ihn umzustimmen und zurück ins Studio zu holen: „Ich höre keine Single“, soll er gemäkelt haben. 

Na, und? Zwar war „Caravanserai“ kein Chart-Selbstläufer wie „Abraxas“, aber mit der Zeit haben Musikliebhaber:innen den Charme der Aufnahmen schätzen gelernt. „Caravanserai“ zu hören, von Anfang bis Ende, ist ein Fest für die Sinne. Vom Auftakt mit „Eternal Caravan of Reinkarnation“ auf Seite 1 bis zum Verklingen des letzten Stücks auf Seite 2, „Every step of the way“, offenbart sich der Zauber dieser Songs. Santana spielt sich königlich und unnachahmlich gefühlvoll, ja beseelt durch dieses Gesamtkunstwerk. Er nimmt uns als Hörer:innen gleichsam mit auf eine Reise ins Innere sowie auf einen faszinierenden Ausflug in den Jazz.

Zweieiige Zwillinge

Die Musik auf „Caravanserai“ fließt – mal wie ein plätschernder Fluss, mal belebend wie durch Stromschnellen –, und bei mir stellt sich immer wieder ein Moment des Bedauerns ein, wenn die Nadel am Ende von Seite 2 unweigerlich in die Auslaufrille läuft. Oft höre ich die Platte mindestens zweimal hintereinander, weil ich mich aus der sanften und friedvollen Stimmung nicht verabschieden mag. Aber in letzter Zeit entwickle ich so etwas wie ein Ritual, das ich wirklich wärmstens empfehlen kann: Nach „Caravanserai“ lege ich „Return to Forever“ auf, die ebenfalls 1972 auf Label ECM von Manfred Eicher erschienene Soloplatte von Chuck Corea. Sie stellt, ebenso wunderbar und mit ähnlicher Tonalität, die Bewegung aus der anderen Richtung dar: Ein begnadeter Jazzmusiker nähert sich dem Rock an. Wenn ich’s recht betrachte, sind „Caravanserai“ und „Return to forever“ zweieiige Zwillinge …

Aber zurück zu Caravanserai – einst, dem Wortsinn nach, eine durch Mauern geschützte Herberge an den Routen der Karawanen. Die Aufnahmen führen uns zu einem einzigartigen Zwischenstopp auf dem Weg des Gitarristen und zu einer Weggabelung. Zwei seiner Mitstreiter, Gregg Rolie und Neil Schon, werden kurze Zeit später nämlich ein eigenes Kapitel der Rockgeschichte aufschlagen und die Band Journey gründen. Carlos Santana hingegen versenkt sich im Jahr 1973 auf der LP „Love, Devotion, Surrender“ an der Seite des Gitarristen John McLaughlin in die Musik von John Coltrane und ergründet zudem auf der LP „Welcome“ sein Jazz-Terrain weiter. Und Chick Corea? Der formiert unter dem Namen „Return to Forever“ eine der wegweisenden Fusion-Bands der 1970er-Jahre. 

Aufregend das alles, sehr aufregend.

Anspieltipps: Keine, panta rhei, der Charme von „Caravanserai“ entfaltet sich beim Hören von Anfang bis Ende

Verfügbarkeit auf Vinyl: problemlos