„Musik höre ich wehrlos“, hat der von mir vermisste und geschätzte Publizist und Moderator Roger Willemsen (1955 – 2016) von sich gesagt. Mit diesen Worten hat er einen Gefühlszustand formuliert, mit dem ich mich mühelos verbinden kann. Manchmal trifft mich Musik überraschend, direkt ins Mark, ohne Filter und mit erschütternder Wucht. Music for 18 Musicians von Steve Reich ist solch eine Komposition, der ich mich nur hilflos ausliefern kann. 

Wenn ich über das Wesen des Stückes rätsele, kommt mir zuweilen der Publizist Kurt Tucholsky (1890 – 1935) in den Sinn. Einst ließ er sein Alter Ego Peter Panter nach Worten ringen, um präzise zu beschreiben, was die Birken tun: Zittern? Flimmern? Flirren? Was denn nun? Er werde wohl ins Grab sinken, ohne eine Antwort darauf zu finden… Und „Mf18M“? Was macht diese Musik eigentlich? Vibrieren? Brizzeln? Beben? Ich kann es einfach nicht auf ein Wort reduzieren. Jedenfalls drängeln sich stakkatoartige Rhythmen ins Bewusstsein, melodische Artefakte lösen einander ab, verschieben sich gegeneinander und zaubern Fragezeichen in den Hörraum. Die Musik pulsiert mit hypnotisierender Energie Und irgendwann im Laufe der gut 55 Minuten ist nichts mehr, wie es am Anfang war. In der Musik nicht und in meinem Inneren auch nicht. „Music for 18 Musicians“ hat eine faszinierende, rätselhafte Kraft der Transformation. 

Gedehnte Zeit

Reich und seine Mitstreiter:innen gehorchen mit Cello, Stimmen, Pianos, Marimbas, Caracas, Xylophone, Metallophonen, Klarinetten und Bassklarinetten der fast mathematischen Struktur der Komposition und folgen dem typischen Atemrhythmus eines Menschen. Von den vielen musikalischen Ausrufezeichen, die Reich hier setzt – und von denen ich ehrlicherweise wenig verstehe –, mag der Hinweis auf seine ausgeklügelte Technik des Phasing genügen: Zu Reichs kompositorischer Rezeptsammlung gehört, in manchen Passagen zwei Instrumente eine Stimmen zu spielen zu lassen. Während das eine Instrument stoisch sein Tempo hält, eilt das andere voran. Es bleibt so lange phasenverschoben, bis es sich irgendwann, wie ein Rennwagen bei einer Überrundung, quasi von hinten wieder an das andere Instrument herangeschoben hat. Bei „Music for 18 Musicians“ hat Reich diese Technik auf ganze Instrumentengruppen übertragen – der Effekt ist atemberaubend. Gedehnte Zeit. 

Gekauft in New York. Balinesische Gamelan-Musik, die sich als Minimalismus tarnt. Ich habe das Ende der 70er Jahre live in der New Yorker Innenstadt gesehen. Alle in weißen Hemden und schwarzen Hosen. Nachdem ich gerade eine Tournee in weißem Hemd und schwarzer Hose beendet hatte, erkannte ich sofort Reichs großes Talent und seinen guten Geschmack. Die Musik (…) hat mich umgehauen. Erstaunlich.

David Bowie in Vanity Fair (2000) über „Music for 18 Musicians“

Premiere auf dem Label ECM

Für mich ist es immer wieder ein Seelenausflug, wenn ich die LP mit der Weltpremiere vom 24. April 1976 in New York auflege. Die Aufnahme ist im Jahr 1978 auf dem Münchner Label ECM erschienen und heute neu leider nicht mehr auf Vinyl verfügbar. Steve Reich hat sein Stück, das um nur elf Akkorde kreist, in den 1990er-Jahren erneut eingespielt. Die Aufnahme für Nonesuch Records gewann im Jahr 1998 einen Grammy und ist später, aus Anlass eines Record Store Days, auf LP erschienen und seitdem im Handel. Ich halte es jedoch mit dem Original und der Performance aus der Town Hall im Big Apple.

Mf18M – eine Musikempfehlung aus ganzem Herzen. 

Anspieltipps: Erübrigen sich, „Music for 18 Musicians“ will komplett durchgehört werden. Alles andere ergibt keinen Sinn.

Verfügbarkeit auf Vinyl: Die Ausgabe von ECM aus dem Jahr 1978 ist vergriffen, auf dem Gebrauchtmarkt aber recht günstig zu erhalten. Die Neuaufnahme für Nonesuch Records ist problemlos verfügbar.