Als dieses Album 1982 erschien, trauten viele Fans von Bruce Springsteen ihren Ohren nicht. Mir ging es genauo. Wir waren von Springsteen Rock´n´Roll gewohnt, so groß wie ein Haus, angetrieben von der E Street Band. Wir hatten die LPs „Born to run“, „Darkness on the Edge of Town“ und  „The River“ in den Ohren – satte Sounds, großer Drive und ergreifende Balladen, Songs wie „Born to run“, „Badlands“,“The River“ and „Hungry Heart“. Bruce Springsteen, die Zukunft des Rock´n´Roll. Und dann …  „Nebraska“, benannt nach einem der Herzlande der USA, landwirtschaft geprägt, „rural amercia“ mit nicht mal 1,9 Millionen Einwohnern. Springsteen unplugged, mit akustischen, rudimentären Demos, die er zuhause auf Band aufgenommen hat. So körnig, so roh und so säurehaltig wie die Schwarzweißaufnahme auf dem Cover.

Abseits der Sehnsuchtsziele

Nebraska. Das Amerika abseits der Sehnsuchtsziele. Springsteen lässt den Blick durch den Hinterhof der USA gleiten, und was er dort findet, ist Härte, Verzweiflung, Fatalismus und nur Reste von Hoffnung. Letztere hat „Johnny 99“ aber aufgegeben, der Typ aus dem gleichnamigen Song, der seinen Job in einer Autofabrik verliert, betrunken einen Nachtwächter erschießt und zu fast 100 Jahren Gefängnis verurteilt wird. Er bittet um die Todesstrafe. Kein Happy End, keine Aussicht auf Erlösung, nicht einmal zwischen den Zeilen. Springssteen sagt, was ist. Und was nicht gut werden kann, wird in diesen Songs auch nicht gut. Der Hörer bekommt nicht einmal semantische Notausgänge geboten. Da macht auch der Titelsong, in dem Springsteen ein reales Verbrechen aus den 1950er-Jahren aufgreift, keine Ausnahme:

From the town of Lincoln, Nebraska with a sawed off .410 on my lap // Through to the badlands of Wyoming I killed everything in my path // I can’t say that I’m sorry for the things that we done // At least for a little while Sir // me and her we had us some fun

Und dennoch heißt es im abschließenden Song „Reason to believe“:

Still at the end of every hard earned day people find some reason to believe.

Springsteen wundert sich darüber nur, begründen kann er es nicht. Aber irgendwie geht das Leben eben immer weiter.

Das Album spiegelt und seziert die soziale Kälte, die sich unter dem republikanischen US-Präsidenten Ronald Reagan Anfang der 1980er-Jahre in den USA breit machte. Jetzt bekommen diese Songs, die auch eine tiefe Verbeugung, eine ungeschliffene Verbeugung vor den Folk-Heroen Pete Seeger und Woody Guthrie darstellen, einen neuen Sinnzusammenhang. Wenn ich mir die desilluisonierten Menschen aus den Nebraska-Songs und dieses verlorene Amerika vorstelle, das Springsteen auf der Platte skizziert, dann wundert es mich gar nicht, dass Donald Trump 2016 die fünf Wahlmännerstimmen des Bundesstaates komplett für sich verieinnahmen konnte.

„Nebraska“ zu hören ist nicht entspannend, sondern grimmiges Kopfkino und als solches ein intensives Erlebnis. Es evoziert neue Bilder einer Realität, vor der wir die Augen nicht verschließen können. Nebraska, das ist die bittere Bedeutung, die das Album heute trägt, findet sich an vielen Orten.

Anspieltipps: Atlantic City / Mansion on the Hill / My father’s house

Verfügbarkeit auf Vinyl: problemlos