In der Rheinischen Post ist Mitte Juni 2022 ein Beitrag zum bevorstehenden 80. Geburtstag von Sir Paul McCartney erschienen, der nach Widerspruch ruft.

Unter dem Titel „Es ist nicht leicht, Paul McCartney zu sein“ zeichnet der Autor auf mehr als einer halben Zeitungsseite ein Bild des Musikers, das nachweislich mit der Realität wenig zu tun hat. Er feiert den Beatle Paul McCartney, beschreibt dessen mehr als 50 (sic!) Jahre währende Solokarriere jedoch erstens nur am Rande und zweitens als weitgehend uninspiriert. Dabei vergisst der Autor die Erfolgsstory von Paul und Linda McCartneys Gruppe Wings komplett – ihre Alben „Band on the run“ und „Wings over America“ sind gefeierte Klassiker – ebenso wie die sensationell erfolgreiche Scheibe „Tug of War“ und weitere Highlights wie „Flaming Pie“ und „Chaos and Creation in the Backyard„. Dass McCartney zuletzt mit „Egypt Station“ und der komplett solo und in der Pandemie eingespielten „McCartney III“ nicht nur die Kritiker begeisterte, sondern auch kommerziell sehr erfolgreich war, findet in der seltsam verbrämten Erzählung keinen Widerhall. Und seine seit seeligen Sgt. Pepper-Zeiten ungebrochene Experimentierlust mit pseudoklassischer und elektronischer Musik (Projekt „Fireman„) auch nicht.

„Genau genommen ist völlig egal, was er seit dem Jahr 1970 gemacht hat“, schreibt die RP, „Niemand kauft eine Karte für seine Konzerte und denkt: Hoffentlich spielt er ein paar neue Kracher.“ Ich bin mir sicher, dass beide Thesen falsch sind. Jeder freut sich, wenn McCartney vor allem die Beatles hochleben lässt, keine Frage. Aber ohne Solo- und Wings-Erfolge wie Live and let die, Band on the run, New, Maybe Im amazed, Jet, I don´t know, My Valentine, Juniors Farm, Come on to me und andere wäre ein McCartney-Konzert eben auch nicht komplett. Mal ehrlich, die regulären Beatles-Platten kann doch jeder rauf und runter beten. Aber in McCartneys Werk ab 1970, da gibt es viel zu entdecken. Und manches offenbart sich erst in der Rückschau. Dazu zählt „Ram“ – da stimme ich dem Autor zu –, aber auch „McCartney I„, für die RP die „große Bürde“ in McCartneys Karriere, und die angenehm verpeilte „McCartney II“ mit dem Überraschungshit „Coming up“.

Beide Platten sind Scheinriesen. Je weiter sie zurückliegen, desto größer erscheinen sie. Die Leser*innen zu einer solchen Entdeckungsreise einzuladen, das wäre einer Story zum 80. Geburtstag des Musikers würdig gewesen.

Der Beitrag der Rheinischen Post vom 18. Juni, auf den sich diese Beitrag bezieht, findet sich – leider hinter der Paywall – hier.