Die eine Platte für die einsame Insel – für mich wäre es diese: „Revolver“ von den Beatles, veröffentlicht im August 1966. Sie ist nur ein knappes halbes Jahr jünger als ich, was nur insofern erwähnenswert ist, als dass ich mich als einen Zuspätgeborenen betrachte. Musikalisch gesehen. Zu gerne hätte ich die späten 60er und frühen 70er miterlebt, als quasi im Wochentakt epochemachende Alben erschienen. Und Revolver war der Startschuss dieser unbändigen Kreativität, ein ästhetisches Statement und Gesamtkunstwerk. Hier passt alles zusammen: Das ikonische Cover von Klaus Voormann, Beatles-Buddy aus Hamburger Tagen, die innovative Produktion, das erstklassige Songwriting und die Texte. Die Beatles im vollen Bewusstsein ihrer kreativen Möglichkeiten und, na ja, noch etwas darüber hinaus. Nicht umsonst beginnt das über den irdischen Dingen pulsierende, von John Lennon komponierte „Tomorrow Never Knows“ mit einer unverschleierten Reminiszenz an den LSD-Propagandisten Timothy Leary:

„Turn off your mind, relax and float down stream, it is not dying.“

Tomorrow never knows (Lennon/McCartney)

Musikalische Befreiung

„Revolver“ ist anders als alles, was vor diesem Album in der populären Musik erschienen ist. Nur die in dieser Hinsicht häufig unterschätzten Beach Boys mit ihrem Mastermind Brian Wilson konnten für kurze Zeit mit den Beatles Schritt halten. Ihr „Pet Sounds“ aus dem Frühjahr desselben Jahres liegt auf einem ähnlichen Niveau wie Revolver, der ersten Produktion der Beatles nach ihrem Rückzug vom Tourgeschäft. Welche Befreiung muss das für die vier Musiker gewesen sein, sich ganz auf die Studioarbeit konzentrieren zu können. Sie schufen Songs in einer Vielfalt, die bis heute verblüfft. Das Spektrum reicht vom Soul-Shouter „Got to get you into my live“ über George Harrisons beißende Kritik an der britischen Steuerpolitik, „Taxman“, bis hin zu „Eleanor Rigby“, dem ergreifenden Stück Paul McCartneys über das harte Los der Einsamkeit. Den Refrain des Gute-Laune-Songs „Good Day Sunshine“ hat in Deutschland eine ganze Generation durch die Werbung für Langnese-Honig für immer im Ohr. Auf „Love you to“ nutzt George Harrison die Tabla und die Sitar erstmals als Leitinstrumente und verbindet so westliche und indische Musik. Und „Yellow Submarine“ mit Ringo Starr als Sänger? Nun … ziehen wir uns diplomatisch aus der Affäre und deklarieren das Lied als Kult.

Herrlich verrückt

Ihre Magie entfalten die Stücke durch die für damalige Verhältnisse innovative Produktion und Arrangements. Verfremdungen, Überlagerungen, rückwärts gespielte Passagen – die Köpfe der Beatles waren voller herrlich verrückter Ideen, ihre Inspiration reichten in die damaligen Anfänge elektronischer Musik und bis hin zum Neutöner Karlheinz Stockhausen. Mit ihrem Produzenten George Martin, dem „fünften Beatle“, und Tontechniker Geoff Emerick hatten sie Menschen an ihrer Seite, die dafür auch eine technische und klangliche Umsetzung fanden. Mit dem „Automatic Double Tracking“ regten die Beatles eine völlig neue Aufnahmetechnik an, die der Tontechniker Ken Townshend in den Abbey Road Studios umsetzte.

„Revolver“, übrigens nach der sich drehenden – „to revolve“ – Schallplatte benannt und nicht nach einer Waffe, ist der Beginn der Popmusik, wie wir sie heute kennen. Vielen Beatles-Fans ist die Platte lieber als die Aufnahme „Sergeant Peppers Lonely Hearts Club Band“, die ein Jahr später erschien und in der öffentlichen Wahrnehmung als das eigentliche Meisterwerk der Gruppe gilt. Das sehe ich, während ich im Groove von „And your Bird can Sing“ diesen Text tippe, ganz genauso.

Anspieltipps: Tomorrow Never knows, I’m only sleeping und Got to get you into my life

Verfügbarkeit auf Vinyl: problemlos.