Ben Harper, mehrfach Grammy-gekürter, US-amerikanischer Songwriter und begnadeter Gitarrist, formuliert auf seinem 2022er-Album „Bloodline Maintenance“ klare Worte über Sklaverei und Rassismus und sinniert über das Leben und die Liebe. Mit traditionsbewusstem Soul und Blues schlägt er den weiten Bogen von den Zeiten der Sklaverei zu Black Lives Matter und den Konflikten der Gegenwart. Das musikalische und ideelle Erbe einstiger Großmeister wie Marvin Gaye, Jimi Hendrix oder Isaac Hayes schimmert durch Harpers neue Lieder, selbstbewusst eingewoben in einen zeitgemäßen, druckvollen Sound. 

Herausragend: „We need to talk about it.“ Der Aktivist Harper nimmt kein Blatt für den Mund und sieht auch keine Notwendigkeit, diplomatisch zu bleiben. Die Verse des wütenden Songs könnten jeden Protestmarsch anno 2023 begleiten:

Whoever said time heals all wounds
Wasn’t a slave I’m guessing 
Hundreds of years
That’s just too long of a lesson 

oder:

I say Black Lives Matter 
‚Cause history says we don’t
You’re either a christian 
or a racist
You can’t be both

Eindeutiger geht’s kaum. Harper, um den erklärungsbedürftigen Titel der Platte aufzugreifen, schickt seine Blutlinie, seine Familiengeschichte, seine Tradition zur Wartung (= Maintenance). Über allem scheint der Geist der Bürgerrechtsbewegung in den USA und Martin Luther Kings zu wachen. I have a dream … Im Jahr 1963 sagte Dr. King diese berühmten Worte, vor 60 Jahren mithin und gut 100 Jahre, nachdem die Sklaverei in den USA offiziell abgeschafft wurde. Und heute? Ist der Traum immer noch ein Traum und die die farbige Bevölkerung kämpft nach wie vor um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung, noch dazu in einem aufgeheizten, polarisierenden gesellschaftlichen Klima. 

Sklaverei: Made in Europe

Kleine Exkursion: Wie wenig über die europäische Verantwortung für die Sklaverei im Amerika gesprochen wird, ist wirklich wunderlich. Es waren schließlich die Kolonialmächte der alten Welt, die nach der Landung von Christoph Kolumbus in Amerika im Jahr 1492 nach und nach einen lukrativen Dreieckshandel aufzogen. Schätzungsweise 40 Millionen Menschen wurden im Laufe der Jahrhunderte aus Afrika entführt, nur 12 Millionen erreichten Amerika lebend. Die Produkte, für die sie ihrer Freiheit beraubt, gedemütigt und gequält wurden, erfreuten zahlungskräftige Käufer in Europa: Baumwolle, Rohrzucker … Selbst Deutschland, genau gesagt Brandenburg-Preußen, mischte im 17. Jahrhundert in dem widerwärtigen Geschäft mit. Die „Afrikanische Compagnie“ ließ Zehntausende Menschen verschleppen. Die Sklaverei mag von den Plantagenbesitzern in den USA im 19. Jahrhundert ins Extrem getrieben worden sein – das Geschäftsmodell jedoch war „Made in Europe“. We need to talk about it ..

Kompakt nachzulesen ist die Geschichte der Sklaverei unter anderem auf der Website „Planet Wissen“ der ARD.

Als „Hausmeister des Blues“, so die taz in einem lesenswerten Beitrag, blickt Harper auf „Bloodline Maintenance“ zurück auf das problematische Verhältnis zu seinem Vater, mit dem er auf dem Cover zu sehen ist, auf die Geschichte der farbigen Bevölkerung in den USA, und hat bei all dem auch seine Kinder und deren Generation im Sinn. Harper singt mit ungefilterter Ungeduld und Dringlichkeit, aber auch mit Zärtlichkeit und Empathie. Der kraftvolle Eindruck der Musik verstärkt sich dadurch, dass Harper fast alle Instrumente selbst spielt und im Acapella-Opener „Below Sea Level“ sogar seine Stimme vervielfacht. Das alles will gekonnt sein. Und das ist es auch und verbindet sich zu eindrucksvollen, persönlichen Statements. 

Mit gelungenem Songwriting und stimmigen Arrangements verknüpft Harper die Generationen – seiner Familie und der Musik. Kein Wunder: Harpers Großeltern mütterlicherseits führten nahe Los Angeles ein Geschäft für Musikalien und Instrumente, das „Folk Music Center“, in dem, so weiß die taz zu berichten, der 1969 geborene Musiker als Kind zwischen Banjos und Steelgitarren und bekannten Blues-und Folkmusikern umherkrabbelte.

Übrigens … wer sich nach der Lektüre dieses Beitrags immer noch fragt, ob er Ben Harper eigentlich je gehört hat – die Wahrscheinlichkeit ist seit dem Erscheinen von Harry Styles´ Welterfolg „Harry´s House“ deutlich gestiegen: Auf der Ballade „Boyfriends“ spielt Ben Harper die akustischen Gitarren.

Weitere Anspieltipps: Problem Child / Where did we go wrong / Maybe I can’t let go 

Verfügbarkeit auf Vinyl: problemlos