Gut gemachte und durchdachte Awards schätze ich sehr. Sie lenken den Blick auf inspirierende Unternehmen und Marken, Persönlichkeiten und Themen. Ein wenig kenne ich mich damit aus. Den Marken-Award für exzellente Leistungen in der Markenführung habe ich selbst mit ins Leben gerufen, den Deutschen Marketing-Preis lange Jahre als Chefredakteur der absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing – begleitet und einige andere Preise als Juror und Moderator unterstützt. Einen habe ich auch einmal in den Sand gesetzt – Schwamm drüber und nicht in alten Wunden bohren.

Der jetzt angekündigte Preis für die besten inhabergeführten und konzernunabhängigen Schallplattenläden Deutschlands hat mich als Journalist, Musik- und Vinylliebhaber neugierig gemacht. Und wenn ich mir die Papierform des EMIL – benannt nach Emil Berliner (1851–1929), dem Vater von Grammophon und Schallplatte – anschaue, dann komme ich zu dem vorsichtigen Schluss: Das Projekt hat Potenzial, und es könnte den unabhängigen Schallplattenläden eine Bühne bieten, um sich öffentlichkeits- und medienwirksam zu profilieren und zu präsentieren. 

Der EMIL wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, derzeit ist das Claudia Roth, und dem Verband unabhängiger Musikunternehmer:innen (VUT) ausgelobt und vergeben. Dass die Grünen-Politikern Claudia Roth in den 1980er-Jahren Managerin der Politrocker Ton, Steine, Scherben mit dem Leadsänger Rio Reiser war, passt wunderbar ins Bild. „Credibility“ nennt man das neudeutsch. Und Claudia Roth hat ja so recht: „Plattenläden sind viel mehr als reine Verkaufsstationen: Sie sind kulturelle Treffpunkte und wichtige soziale Orte der Begegnung und des Austauschs. Viele Plattenläden organisieren auch Konzerte und Veranstaltungen, die unsere Musikkultur bereichern.“

Vier Kategorien und hohes Preisgeld

Vier Kategorien sind für den Award vorgesehen: Für „Neugründung“, „Innovation“ und „strukturschwache Region“ – dafür ist an dieser Stelle ein Extralob fällig – wird jeweils ein Unternehmen mit einem Preisgeld von 25.000 Euro ausgezeichnet. In der Kategorie „Bestes Schallplattenfachgeschäft“ werden 13 Awards vergeben, wobei kleinere Unternehmen ein Preisgeld von 15.000 Euro erhalten. Ab einer Umsatzschwelle von einer Million Euro jährlich gibt es, gute Entscheidung, keine Geldprämie.

Für unglücklich halte ich hingegen die Idee eines Gütesiegels, das mit der Auszeichnung verbunden ist. Zum Konzept eines Gütesieges gehört doch, dass sich jeder Anbieter von Waren und Dienstleistungen ab einem definierten Qualitätsstandard darum bemühen kann. Das funktioniert über eine Preisverleihung nicht; und völlig ungewollt hat der EMIL damit einen ausgrenzenden Charakter und verzerrt ein wenig den Wettbewerb. Vielleicht ist auch nur der Begriff falsch gewählt, und es handelt sich einfach um ein Emblem, ein Logo oder eine Urkunde zum Preis, womit die ausgezeichneten Läden werben dürfen.

Und wenn ich schon Wasser in Wein schütte : In der Ausschreibung und bei den Kriterien vermisse ich die Hinweise auf digitale Kommunikation und E-Commerce. So sehr ich als Vinylfan den Analog- und Offline-Charakter des stationären Einzelhandels schätze, so überzeugt bin ich aus meiner beruflichen Perspektive, dass der „Brick-and-Mortar“-Handel nur mit einer bündigen Digitalkonzeption mittelfristig überlebens- und konkurrenzfähig bleibt. Digital hat der inhabergeführte Fachhandel in allen Branchen Nachholbedarf; Tradition hin oder her. Und man darf in diesem Kontext keiner vinyl-romantischen Illusion erliegen: Die Betreiber:innen von Schallplattenläden sind Kaufleute wie alle anderen Einzelhändler:innen auch, die sich profitabel im Wettbewerb bewähren müssen. Aus persönlicher Erfahrung kenne ich einige Läden, die beispielsweise Social-Media-Kommunikation und den Online-Verkauf gut und munter verbinden, andere sind in der digitalen Sphäre unsichtbar.

Auf die Jury kommt es an

Soweit ich das beurteilen kann, ist der EMIL als Award sehr offen konzipiert. Wer die Teilnahmebedingungen erfüllt, kann in seiner Bewerbung schreiben und präsentieren, was sie oder er möchte. Vergleichbare Kriterien gibt’s nicht. Kann man so machen, aber damit hängen Glaubwürdigkeit und Breitenwirkung des Preises stark von der Arbeit der Jury und ihren nachvollziehbaren, gut begründeten Entscheidungen ab. Fürs Erste verdienen die Juror:innen einige Vorschusslorbeeren. Die Zusammensetzung des Gremiums vereint erfreulich viele Blickwickel und weckt die Neugier: Über die Preisträger:innen entscheiden im Premierenjahr Manuel Amin, Geschäftsführer von Cargo Records; Elke Kuhlen, Festivalleiterin der c/o Pop; Erik Leuthäuser, Sänger und Komponist; Marie Montexier, Musikerin und DJ; Oyémi Noiz, Musikerin; DIE P, Rapperin; Thorsten Rund, Manager bei Universal Music; Norbert Schiegl, Chefredakteur der Musikwoche, und Stefan Vogelmann, Geschäftsführer des Musikvertriebs Broken Silence. Ein unabhängiger Handelsexperte – siehe oben – wäre vielleicht eine sinnvolle Ergänzung.

Also, bonne chance den Juror:innen und natürlich insbesondere den Bewerber:innen, die ihre Unterlagen noch bis zum 16. August 2024 einreichen können. Dr. Birte Wiemann, Vorstandsvorsitzende des VUT, gibt allen Interessent:innen ermunternde Worte mit auf den Weg: „Der EMIL ist ein Zeichen unserer Anerkennung für die Plattenläden und ihre kreativen und leidenschaftlichen Betreiber:innen. Diese Plattenladenmacher:innen möchten wir ermutigen, sich zu bewerben und weiterhin als kulturelle Knotenpunkte zu bestehen.“ Am 1. Dezember 2024 wissen wir mehr. Dann findet die erste Verleihung des EMIL in den Kölner Rheinterrassen statt.

Der Branche der unabhängigen Schallplattenläden drücke ich die Daumen, dass der Auftakt des EMIL gelingt. Eine solche Leuchtturm-Veranstaltung gute Geschäftskonzepte sichtbar und Vinylfans daran erinnern: Ein Besuch im Plattenladen ist allemal bereichernder und überraschender als jede Shoppingtour im Internet.

Info, Kriterien und Bewerbung: 
https://www.deutscher-preis-fuer-schallplattenfachgeschaefte.de

(c) Foto: Pixabay/Stocksnap