„Rumours“ von Fleetwood Mac ist ein Phänomen. Die Popularität der Platte ist seit 1977, als sie die Charts eroberte, ungebrochen. Sie gehört zu den Großtaten des Classic Rock, für die sich eine Generation nach der nächsten erwärmt. Und mehr noch: In den 2022er Jahrescharts für Vinylplatten mischte sie sich unter die Veröffentlichungen aktuell angesagter Stars wie Harry Styles, Taylor Swift oder Kendrik Lamar. Platz 5 in den USA, Platz 5 in Großbritannien, und damit vor anderen Klassikern wie Abbey Road (The Beatles) oder Dark Side of the Moon (Pink Floyd) stehen zu Buche. Insgesamt wurden seit dem Erscheinen mehr als 40 Millionen Einheiten von „Rumours“ verkauft.
Was hat es nur auf sich mit dieser Aufnahme, die einfach nicht altern möchte? Vielleicht ist es dieser Dreiklang: „Rumours“ hat musikalische Qualität, inhaltliche Relevanz und einen ganz besonderen Vibe. Der stimmt positiv und ist durchaus erbaulich, aber auch ein Täuschungsmanöver. Wer genau hinhört und den Texten Beachtung schenkt, wird Zeuge eines antiken Dramas auf offener Bühne. Nicht umsonst heißt die Platte „Rumours“, „Gerüchte“, und gemeint ist das Gerede, das Hörensagen, die „Second Hand News“, das Misstrauen und der emotionale Aufruhr, die scheiternde Beziehungen begleiten.
Das emotionale Chaos in der Band dürfte Fans der Gruppe hinlänglich bekannt sein; für alle anderen hier die Kurzfassung: Die Ehepaare Stevie Nicks (Gesang) und Lindsey Buckingham (Gitarre, Gesang) sowie John McVie (Bass) und Christine McVie (Gesang, Keyboards) hatten sich getrennt. Die Keyboarderin hatte eine Affäre mit einem der Beleuchter und widmete ihm mit „You make loving fun“ auch noch ein euphorisches Liebeslied. Die Ehe von Mick Fleetwood (Schlagzeug) war ebenfalls am Ende. Wer der These anhängt, dass sich Kreativität aus Schmerz speist, darf „Rumours“ in seine Beweisführung einbauen.
Der magische Trick von Fleetwood Mac
Aber was für Songs haben sie daraus kreiert! Das ätherische, den Himmel aufreißende Lied „Dreams“ zum Beispiel. Stevie Nicks erinnert den scheidenden Partner an die Träume von Einsamkeit, die ihn erwarten, und an den Herzschlag, der ihn verrückt machen wird, in der Stille der Erinnerung daran, was er hatte und nun verloren hat. Like a heartbeat drives you mad … Und gleichzeitig offenbart der Song den magischen Trick von „Rumours“, musikalisch und mit Lindsey Buckinghams unnachahmlichen Akkordwechseln die Stimmung zu heben. Unwiderstehlich. Man denke nur an das Comeback des Songs im Jahr 2020 durch ein TikTok-Video: Lässig auf dem Longboard durch die Morgensonne skatend, singt ein US-Amerikaner namens Nathan Apadoca lautlos den im Hintergrund laufenden Song mit und trinkt dabei aus einer Saftflasche. Cooler geht’s nicht. Und plötzlich war „Dreams“ überall, mit zig Millionen Videoviews und Spitzenplatzierungen in den Download- und Streaming-Charts von Apple Music und Spotify. Ein Internetphänomen, wie es die Welt im ersten Jahr der Coronopandemie vielleicht gebraucht hat. Stevie Nicks und Mick Fleetwood adelten das Video, indem sie wie unzählige Menschen weltweit Apadocas berühmt gewordene Fahrt imitierten und davon Filmchen veröffentlichten.
Geschickt und zeitlos arrangiert von Lindsey Buckingham, haben alle Songs des Albums diese Qualität. Es gibt keinen Ausfall, keinen ungeliebten Füller. Das dramatische „Chain“ – er hatte doch versprochen, das Band zwischen ihnen nie zu zerreißen! – gehört zu den ewigen Fanfavoriten. „Don’t stop“, einer der größten Hits von Fleetwood Mac, rauscht im Schnellzugtempo in eine bessere Zukunft. Und das delikate Kleinod „Songbird“ erinnert bis in alle Ewigkeit an die großartige Christine McVie, die im Jahr 2022 verstorben ist. In „Go your own way“ hingegen packte Lindsey Buckingham all seine Wut auf Stevie Nicks. Welch schmutzige Wäsche da gewaschen wurde, lasse ich hier mal aus, das ist im Wikipedia-Eintrag zu dem Song nachzulesen. Der Konflikt zwischen beiden begleitet die weitere Bandgeschichte und gipfelte im Jahr 2018 im Rauswurf des Gitarristen.
Don´t stop! Ein Motto für das Leben
Dass die Band nach „Rumours“ überhaupt weiter machen und den Triumph auskosten konnte, gleicht einem Wunder. Wie viel Professionalität und Willen zum Erfolg braucht es, um als Ensemble solch eine Krise zu überstehen? Vielleicht hatten sie – karrieretechnisch – einfach keine andere Wahl. „Rumours“ war erst ihre zweite Platte in dieser Besetzung. Fleetwood Mac vollzog damit endgültig die Metamorphose von der britischen Bluesband um den Ausnahmegitarristen Peter Green, der 1970 die Gruppe verlassen hatte, zu weltweit gefeierten Poprock-Protagonisten. Verständlich, dass die Musiker:innen das nicht wieder aufgeben wollten.
Denn, wie heißt es so tröstend in „Don’t stop“?
Why not think about times to come
And not about the things that you’ve done
If your life was bad to you
Just think what tomorrow will do
Also, möge das Leben auch hart sein – Morgen ist ein anderer Tag.
Weitere Anspieltipps: Gold Dust Women / Oh, Daddy / Never going back again
Verfügbarkeit auf Vinyl: Problemlos, neu wie gebraucht. Von Reprise gibt’s eine audiophile Pressung auf zwei LPs mit 45rpm, übrigens hergestellt bei Pallas in Deutschland. Im Jahr 2020 erschien zudem zum Record Store Day „The Alternate Rumours“ mit Demos und alternativen Takes.
Lieber Christoph, endlich habe ich es in deinen Blog geschafft. Phantastisch, was du da schreibst und ins Licht meiner Aufmerksamkeit…