Schallplatten-Fans haben heute allen Grund zu feiern: Auf den Tag genau vor 75 Jahren, am 21. Juni 1948, hat Columbia Records in New York die erste moderne Langspielplatte (LP) auf den Markt gebracht. Mit 33 1/3 rpm statt den bis dato 78 Umdrehungen sowie mit einer Spiellänge von 20 bis 30 Minuten pro Seite statt 15. Schallplatten aus Vinyl gab es in Nischensegmenten bereits, aber mit der LP löste Polyvinylchlorid das Schellack als bevorzugtes Material schnell ab.
Peter Carl Goldmark (1906 – 1977), Ingenieur bei den CBS Labatories, sei Dank. Er hat die moderne „Long Playing Microgroove“, die „LP“, nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Die US-amerikanische Inventors Hall of Fame ehrt Goldmark, der auch die Abtastnadel und den Tonarm der damaligen Plattenspieler optimiert hat, mit den Worten:
„Seine Innovationen machten es möglich, ganze Sinfoniesätze und andere lange Stücke ohne Unterbrechung anzuhören, und brachten Millionen von Menschen in den Genuss von Musik auf Langspielplatten.“
Inventors Hall of Fame
Dabei griff Goldmark auf bestehende Entwicklungen zurück. Ohne das sogenannte „Füllschriftverfahren“ des deutschen Ingenieurs und Chefredakteurs der Programmzeitschrift „Hörzu“, Eduard Rhein, wäre es beispielsweise nicht möglich gewesen, die Rillen auf den neuen LPs so eng aneinander zu legen.
Wie der Buchdruck für das Wort
Keine Frage: Goldmarks LP hat die Musik demokratisiert, ähnlich wie 500 Jahre zuvor Johannes Gutenbergs Buchdruck für Texte. Die LP avanciert gemeinsam mit der ebenfalls im Jahr 1948 von RCA Victor eingeführten 7-Inch-Single in den folgenden Jahrzehnten zum zentralen Medium der Jugendkultur in der westlichen Hemisphäre, des Aufbruchs und der Auflehnung, und bleibt es bis zur Erfindung der CD und des Musik-TVs in den 1980ern. Künstler und Publikum verbünden sich via Schallplatte zu Pop-Phänomenen und sozialen Bewegungen. Genauso nutzen autokratische Systeme und Diktaturen die Musik auf Schallplatte für Propagandazwecke. Alles hat eben zwei Seiten, und wer wüsste das besser als Schallplattensammler? Und ja doch, auf LP wurde und wird auch unfassbar viel kultureller Schrott vertrieben. Aber was Qualität und was Kitsch, was wegweisend oder belanglos ist, das bleibt letztlich Geschmacksache und eine individuelle Einschätzung.
Ein Gruß ins Weltall
Wie bedeutsam die LP im 20. Jahrhundert als kulturgeschichtlicher Ausdruck war, illustriert wohl nichts besser als die Voyager Golden Record, die im Jahr 1977 mit den interstellaren Raumsonden Voyager I und II ins All geschickt wurden. Man war bei der NASA ernsthaft der Annahme, anderen Intelligenzen mit Schallplatten einen Eindruck von der Menschheit vermitteln zu können. Es handelt sich jedoch nicht um Vinyl-LPs, sondern um in einem aufwendigen Forschungsprojekt entwickelte Datenplatten mit einer geplanten Lebensdauer von 500 Millionen Jahren. Bilddaten sowie Grüße an andere Bewohner des Weltalls in vielen Sprachen sind darauf zu finden, aber auch Musik aus vielen Kulturen, von Liedern der Aborigines über einen Satz aus Johann Sebastian Bachs Brandenburgischen Konzerten bis hin zu „Johnny B. Good“ von Chuck Berry.
Ist es nicht eine faszinierende Vorstellung, dass dereinst immer noch Schallplatten durchs Universum driften und von uns und unserer kleinen blauen Kugel erzählen, wenn die Menschheit vielleicht längst nicht mehr existiert?
(c) Aufmacherfoto: Adobe iStock/Deklofenak
Kurzer Exkurs ins Marketing: Aus beruflicher Sicht kann ich mir am Geburtstag der LP einen kritischen Hinweis nicht verkneifen. Als Journalist befasse ich mich publizistisch mit Unternehmen und Wirtschaft, Marken und Marketing. In diesem Kontext bin ich gerade etwas perplex. Warum in aller Welt nutzt Columbia Records, seit 1988 Teil von Sony Music Entertainment, den 75. Geburtstag der LP nicht als Steilvorlage für sein Storytelling, für eine Kampagne oder Promotion? Eine verpasste Marketingchance. Und was für eine. Vielleicht hat es das Label im boomenden Vinylsegment aber auch schlichtweg nicht nötig, Markenpflege zu betreiben!?
Lieber Christoph, endlich habe ich es in deinen Blog geschafft. Phantastisch, was du da schreibst und ins Licht meiner Aufmerksamkeit…