Der französische Komponist Erik Satie (1866 – 1925) näherte sich der Welt mit einem subversiven Humor. Weder seine Zeitgenossen noch heutige Liebhaber seiner Musik bekommen ihn so richtig zu fassen. Dadaist, Surrealist, Avantgardist … suchen Sie sich etwas aus. Ich stelle mir Satie als einen Mann vor, der mit hedonistischer Freude seine Frechheiten in die Welt schickte. Er komponierte Stücke, die er „Unappetitlichen Choral“, „Wahrhaft schlaffe Präludien für einen Hund“ oder „Melodien zum Davonlaufen“ nennt. Gut bekam ihm das nicht. Satie blieb arm wie eine Kirchenmaus und geriet beim breiten Publikum fast in Vergessenheit. 

Dass Satie heute als einer der Wegbereiter der Minimal Music gilt, dutzende Soundtracks bereichert und trotz aller Schrullen Weltruhm genießt, ist aufmerksamen Verehrer*innen wie dem Italiener Aldo Ciccolini (1925 – 2015) zu verdanken. Zu den vielen Verdiensten des Pianisten aus Neapel zählt, dass er mit Konzerten und Plattenaufnahmen die Musik Saties und den Künstler selbst Mitte des 20. Jahrhunderts ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückholte.

Ciccolinis Album „Satie“ von 1956, zuletzt 2016 von Warner Classic auf dem Erato-Label wiederveröffentlicht, ist ein Schlüsselmoment für den bis heute anhaltenden Satie-Boom. Hier spielt Ciccolini ein „Best of“, natürlich mit Saties populärsten Stücken, den Gymonopédies – im antiken Sparta waren das athletische Wettkämpfe junger Männer – und den Gnossiennes, eine Wortschöpfung Saties. 

Sanfte Tupfer aufs Gemüt

Wer kann sich dem Zauber der Gnossiennes schon entziehen? Mit ihrer reduzierten Form klopfen sie sanft aufs Gemüt. In Aldo Ciccolinis Einspielung sind sie musikalisches Minimax – klein in der Form, aber groß in der Wirkung. Sie beruhigen, lassen umherschweifenden Gedanken Anschluss finden an die chaotische Welt, die, wenn die letzten Töne verklingen, wieder ein wenig greifbarer erscheint. 

Die Faszination von Saties Musik liegt in der Balance aus Gefühl und Kontrolle. Die Melodien Saties fließen nicht, sie schreiten. Für mein Empfinden erzählen sie vom Lauf der Zeit, die mal dahineilt, dann gemessenen Schrittes vorübergeht und manchmal um uns überforderte Menschenkinder herumwirbelt. Ciccolini zählt für die Zuhörerinnen mit dem Wenigen, das Satie an Noten, Mustern und Wiederholungen auf die Notenblätter schrieb, respektvoll die Zeit herunter.

Mir gefällt die Vorstellung, dass Satie seine Musik im Bewusstsein von Vergehen und Endlichkeit geschrieben hat und die Ausweglosigkeit unseres Schicksals nur mit absurdem Humor ertragen hat … Wie sonst wären Titel wie „Drei birnenförmige Stücke mit einer Art Anfang, einer Verlängerung desselben und einem weiteren, gefolgt von einer Wiederholung desselben“, das Auftaktstück auf Seite eins, zu erklären? Die musikwissenschaftliche Deutung sagt übrigens, dass er damit Sammlungen mit impressionistischer Klaviermusik karikiert – mag sein. 

Im Inneren des Klappcovers der LP „Satie“ finden sich von Saties sprachlichen Kapriolen. In einem der Text imitiert er die Werbung eines fiktiven Kompositionsunternehmens, dessen „Stücke garantiert frei von Quinten und Oktaven“ seien. Die Komponisten, heißt es da, benutzten nur alte Harmonien, die dem aktuellen Geschmack entsprächen. Die Firma spezialisiere sich darauf, Musik zu überarbeiten. Ihr Geschäftsprinzip: etwas Neues aus dem Alten zu erschaffen.

Ciccolini hat mit „Satie“ das einst Neue in seine und bis in unsere Gegenwart getragen.

Anspieltipps: Trois Gymnopédies / Heures séculaires et instantes / Troi Gnossiennes

Verfügbarkeit auf Vinyl: problemlos