Miles Davis’ Album „Bitches Brew“ von 1970 war ein großer Wurf. Davis wollte sein Publikum erweitern, auf großen Bühnen und Festivals spielen und stärker ins Rampenlicht. Er schaffte dies, indem er den Jazz mit Soul, Funk und Rockmusik auf eine mutige, kreative Weise verknüpfte. Ein Urknall. Doch dieses Gebräu kam keineswegs aus dem Nichts. Es hatte einen nicht minder eindrucksvollen Vorläufer: „In a Silent Way“ aus dem Jahr 1969. Das war die Musik des Übergangs, der Abschied vom Bop-verbundenen Jazz, der Pfad zu etwas Neuem, das „Fusion“ getauft werden würde.
Davis, der ewige Innovator, scharte in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre junge, brillante Musiker um sich, mit denen sich bis dahin Ungehörtes wagen ließ. Die Besetzung von „In a Silent Way“ liest sich rückblickend wie das Who-is-Who des Jazzrocks: Wayne Shorter am Sopransaxofon, John McLaughlin an der elektrischen Gitarre, Herbie Hancock und Chick Corea jeweils am E-Piano, der Österreicher Joe Zawinul an Orgel und E-Piano und die Rhythmussektion mit Dave Holland am Bass und Tony Williams am Schlagzeug – diese Band konnte die Sterne vom Himmel spielen. Und das tat sie auf „In a Silent Way“ in zwei eingängigen Jams, immer die Ruhe bewahrend und ständig neue Räume für das Solospiel von Miles Davis schaffend. Auf eine leise Art eben. Fast meditativ. Davis wiederum lässt den jungen Musikern alle Zeit der Welt, damit sie ihre faszinierenden Klanglandschaften zur Entfaltung bringen können. Wie viel Vertrauen muss Davis in diese junge Truppe und in den Produzenten Teo Macero gehabt haben! Geduldig wartet Davis auf die geeigneten Momente, um zu seinen grandiosen Soli anzusetzen. Das ist atemberaubend schön, pur und wahrhaftig.
Also, die Nadel in die Rille senken, die Augen schließen, den Flow aufnehmen und sich immer wieder mal wundern, ob Davis´ Spiel tatsächlich von dieser Welt war … Shhhhhhh.
„This is the kind of album that gives you faith in the future of music.“
Lester Bangs im „Rolling Stone“
Lester Bangs Plattenkritik im Magazin „Rolling Stone“ lässt erahnen, wie spannend das Release von „In a Silent Way“ damals, Ende der 1960er-Jahre, war. „This is the kind of album that gives you faith in the future of music“, beginnt er seine Hymne auf die Platte. Ein neuer Weg. Ein überraschender Impuls aus der Nische des Jazz, an dem Joe Zawinul maßgeblichen Anteil hatte. Zawinul, so hat es Herbie Hancock in der Wirtschaftswoche formuliert, habe den elektrischen Keyboards im Jazz zum Durchbruch verholfen. Er sei die Brücke in die Zukunft gewesen, über die Miles Davis damals gegangen sei. Der Rest ist Geschichte – die von Miles Davis, von Wayne Shorter und Joe Zawinul mit „Weather Report“, von Chick Corea mit „Return to Forever“, von John McLaughlin mit „Shakti“ und dem „Mahavishnu Orchestra“, von Tony Williams mit „Lifetime“ sowie von Herbie Hancock in den 1970er-Jahren fortgeschrieben wurde.
Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob es die kreative Explosion des Jazzrocks auch gegeben hätte, wenn sich diese Protagonisten der Szene damals nicht um Miles Davis versammelt hätten. Gemeinsam haben sie Großes vollbracht. Und „In a Silent Way“ hat als verheißungsvolles Wetterleuchten dieser musikalischen Revolution nichts an Bedeutung oder Faszination eingebüßt.
Anspieltipps: Seite 1 mit Shhh / Peaceful und Seite 2 mit Silent Way / It’s About That Time.
Verfügbarkeit auf Vinyl: Problemlos. Eine audiophile Ausgabe von Mobile Fidelity Sound Lab ist vergriffen und somit nur gebraucht erhältlich.
Lieber Christoph, endlich habe ich es in deinen Blog geschafft. Phantastisch, was du da schreibst und ins Licht meiner Aufmerksamkeit…